Das Wesen von Himmel und Hölle
- Himmel - Erde -
9. Kapitel - Der Herr zeigt das Wesen von Himmel und Hölle in Beispielen
9,1. Sage Ich: „So habe denn wohl acht; denn es liegt Mir daran, dass du sehend nach Hause ziehest!9,2. Siehe, in einem Hause wohnen zwei Menschen. Der eine ist mit allem zufrieden, was er im Schweisse seines Angesichtes unter dem Segen Gottes dem Erdboden entlockt. Zufrieden und heiter geniesst er den spärlichen Ertrag seines Fleisses, und seine grösste Freude ist es, mit den noch ärmeren Brüdern seinen mühsam erworbenen Vorrat zu teilen. So ein Hungriger zu ihm kommt, da hat er eine Freude, ihn sättigen zu können, und fragt ihn nie mit ärgerlichem Gemüte um den Grund seiner Armut und verbietet ihm nicht, dass er wiederkommen dürfe, so es ihn etwa wieder hungern sollte.
9,3. Er murret nicht über irdische Staatseinrichtungen und sagt, so ihm irgendeine Steuer abgenommen wird, allzeit mit Hiob: ,Herr! Du hast es mir gegeben; Dein ist alles! Was Du gabst, kannst Du allzeit wieder nehmen; Dein allzeit allein heiliger Wille geschehe!‘
9,4. Kurz, diesen Menschen kann nichts in seiner Heiterkeit sowohl als auch in seiner Liebe und in seinem Vertrauen zu Gott, sowie daraus in der Liebe zu seinen irdischen Brüdern, stören; Zorn, Neid, Hader, Hass und Hochmut sind für ihn fremde Begriffe.
9,5. Aber sein Bruder ist dafür der unzufriedenste Mensch. Er glaubt an keinen Gott und sagt: ,Gott ist ein leerer Begriff, durch den die Menschen den höchsten Grad der diesirdischen Helden bezeichnen. In der Dürftigkeit kann nur ein dümmster Mensch glücklich sein, gleichwie auch die vernunft- und verstandlosen Tiere glücklich sind, wenn sie nur das spärlich erhalten, was ihr stummer und stumpfer Naturtrieb verlangt. Ein Mensch aber, der sich mit seinem Verstande weit übers Tierische emporgehoben hat, der muss sich nicht mehr mit der gemeinen Schweinskost begnügen, muss nicht mit den eigenen, zu etwas Besserem bestimmten Händen in der Erde herumwühlen – was sich nur für Tiere und Sklaven geziemt – , sondern man muss das Schwert ergreifen, sich zum mächtigen Feldherrn emporschwingen und durch Triumphpforten in die grossen Weltstädte einziehen, die man erobert hat. Die Erde muss erbeben unter den Huftritten des Rosses, das von Gold und Edelsteinen strotzend stolz den Herrn der mächtigen Heerscharen trägt.‘
9,6. Mit solchen Gesinnungen verwünscht dann ein solcher Mensch sein ärmliches Sein, verflucht die Armut in seinem Herzen und sinnt auf Mittel, wie er sich grosse Schätze und Reichtümer verschafft, um mit ihrer Hilfe seine herrschsüchtigen Ideen zu realisieren.
9,7. Seinen zufriedenen Bruder verachtet er, und jeder noch Ärmere ist ihm ein Greuel. Von der Barmherzigkeit ist bei ihm gar keine Spur; bei ihm gilt sie als lächerliche Eigenschaft feiger Sklaven und der Gesellschaftsaffen. Dem Menschen gezieme nur Grossmut, – aber diese so selten wie möglich! Kommt ein Armer zu ihm, so fährt er ihn an mit allerlei Scheltworten und sagt: ,Weiche von mir, du faule Bestie, du gefrässiges Ungeheuer mit der zerlumpten Larve eines Menschen! Arbeite, Tier, so du einen Frass haben willst! Gehe zum ungeratenen Bruder meines Leibes, aber nimmer meines erhabenen Geistes; dieser, als selbst ein gemeines Lasttier, arbeitet für seinesgleichen und ist barmherzig wie ein Gesellschaftsaffe! Ich bin nur grossmütig – und schenke dir diesmal noch dein gemeinstes Erdwurmleben.‘
9,8. Siehe nun, diese beiden Brüder, Kinder eines Vaters und einer Mutter, leben in einem Hause beisammen. Der erste ist ein Engel, der zweite nahe ein vollendeter Teufel. Dem ersten ist die ärmliche Hütte ein Himmel, dem zweiten dieselbe Hütte ohne irgendeine Veränderung eine allerbarste Hölle voll der bittersten Qual. Siehst du nun, wie Himmel und Hölle auf einem Flecke beisammen sein können?!
9,9. Freilich wirst du dir denken: ,Nun, was ist es denn? Man lasse den Herrschsüchtigen einen Thron erreichen, und er wird ganz tauglich sein, Völker zu schützen und zu schlagen die Feinde!‘ O ja, das könnte wohl möglich sein! Aber wo liegt der Massstab, der ihm vorschriebe, wieweit er seine herrschsüchtigen Pläne verfolgen solle? Was wird er mit den Menschen machen, die sich nicht in aller Tiefe werden beugen wollen vor ihm? – Siehe, die wird er martern lassen auf die möglichst qualvollste Weise, und es wird ihm an einem Menschenleben ebensowenig gelegen sein wie an einem zertretenen Grashalm! – Was ist aber dann ein solcher Mensch? – Siehe, das ist ein Satan!
9,10. Es müssen wohl Herrscher und auch Feldherren sein; aber verstehe, diese müssen von Gott dazu erwählt und berufen sein und für die Folge Abstämmlinge von altgesalbten Königen sein. Diese sind dann berufen; aber wehe jedem andern, der seine arme Hütte verlässt und hineilet, sich durch allerlei Mittel den Herrscherstab zu erringen! Wahrlich, es wäre für ihn besser, nie geboren worden zu sein!
9,11. Ich will dir aber noch ein Bild vom Himmelreiche Gottes geben: Es gleichet völlig einem guten Erdreich, auf dem ebensogut die edelsten Trauben fest neben den Dorngesträuchen und Disteln wachsen und reif werden, – und doch haben sie ein und dasselbe gute Erdreich! Der Unterschied liegt nur in der Verwendung desselben: die Rebe verkehrt es in Gutes, der Dornstrauch und die Distelstaude aber in Arges, Nutzloses und für keinen Menschen Geniessbares.
9,12. Also fliesset auch der Himmel ein in den Teufel wie in die Engel Gottes; aber jeder von den beiden verwendet ihn anders! –
9,13. Also ist der Himmel auch noch gleich einem Fruchtbaume, der ein gutes, süsses Obst trägt. Als aber unter seine reichgesegneten Äste Leute kommen, die solche Frucht geniessen wollen, da sind etliche nüchtern; diese geniessen mit Dank nur soviel, als es ihr Bedürfnis verlangt. Andere aber, da ihnen die Frucht wohlschmeckt, wollen nichts am Baume zurücklassen, sondern verzehren es aus Neid, dass nicht die Genügsamen noch einmal etwas fänden, und essen so lange, bis der letzte Apfel verzehrt ist. Diese aber werden darauf krank und müssen sterben, während sich die Genügsamen vom mässigen Genusse der Früchte des Baumes sehr wohl und gestärkt fühlen! Und doch haben beide Parteien vom selben Baume gegessen!
9,14. Also ist der Himmel auch gleich einem guten Weine, der den Mässigen stärkt, den Unmässigen aber zugrunde richtet und tötet; und so wird ein und derselbe Wein für den einen ein Himmel und für den andern die barste Hölle, – und doch wird er von einem und demselben Schlauche genommen! –
9,15. Sage Mir, Freund, ob du nun verstehest, was da ist der Himmel und was die Hölle!“